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Literatur/Book Review,  Event

Friedenspreis 2021 for Tsitsi Dangarembga: This planet today urgently needs a new Enlightenment! ger/engl

Die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga ist am Sonntag, 24.10.21 in Frankfurt am Main mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Cultureafrica war vor Ort.

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Frankfurt Paulskirche, Photo: Hans Hofele

Die Verleihung fand vor 400 geladenen Gästen, darunter Kulturstaatsministerin Monika Grütters und zahlreichen PressevertreterInnen in der Paulskirche statt. Tsitsi Dangarembga ist nach Léopold Sédar Senghor 1968  und Chinua Achebe 2002 erst die dritte Autorin aus Subsahara Afrika in über 70 Jahren Friedenspreis. Der Preis wird für literarisches Schaffen sowie gesellschaftliches Engagement zum Wohle der Völkerverständigung verliehen. Es ist außerdem ein Preis, der oft Debatten und Diskussionen entfacht hat. Sie tritt außerdem in eine Reihe berühmter AutorInnen wie Astrid Lindgren, Mario Vargas Llosa, Max Frisch und Susan Sontag.

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Tsitsi Dangarembga at Frankfurt Paulskirche, Photo: Hans Hofele

“Das Leben wäre sehr viel einfacher gewesen, für dich, für uns, wenn wir das gekonnt hätten.”

Auma Obama

Die Laudtio hielt Auma Obama, Schwester des früheren amerikanischen Präsidenten und Studienfreundin von Tsitsi Dangarembga. Beide haben Ende der 80er Jahre in Berlin Film studiert.

Laudatorin Auma Obama betonte, Dangarembga fühle sich in der Verantwortung, Veränderung voranzutreiben. Als Aktivistin sei sie zu einer der wichtigsten Stimmen des afrikanischen Kontinents geworden. Karin Schmidt-Friedrichs vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels würdigte Dangarembgas besondere Gabe, als Autorin und Filmemacherin die Menschen „zu bewegen und aufzurütteln“ und die Welt zum Guten zu verändern. Das stößt beständig auf Widerstand.

Doch allen Hürden zum Trotz kämpfe sie tagtäglich voller Mut für diejenigen ohne eigene Stimme und für die Meinungsfreiheit: „Bestimmt hättest du manchmal am liebsten aufgegeben, Tsitsi, und der Versuchung nachgegeben, einfach ein normales, gewöhnliches Leben zu führen. Warum sich mühsam Gehör verschaffen, wenn man auch irgendwie so durchkommt? Warum unbedingt ein Forum für mehr Gerechtigkeit schaffen? Das Leben wäre sehr viel einfacher gewesen, für dich, für uns, wenn wir das gekonnt hätten. Aber du bist nicht gewöhnlich.“ sagte Auma Obama.

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Auma Obama, Photo by Hans Hofele

In ihrer Dankesrede holte Tsitsi Dangarembga weit aus, brachte ein biblisches Bild mit in die Rede, indem sie sich mit Jona, im Walfisch verglich. (Der wurde einst von Gott ausgesandt, der Stadt Ninive den Untergang zu verkünden, weigerte sich aber und landete nach stürmischer Fahrt im Bauch eines Wals, bevor er begnadigt wurde).

Sie erinnerte die ZuhörerInnen an die gewalttätige Geschichte ihres Heimatlandes Zimbabwe, das vom Rassisten Cecil B. Rhodes Ende des 19.Jahrhunderts im Auftrag der Briten erobert wurde. Rhodesien hielt am weißen Minderheitsregime fest auch nach der formalen Unabhängigkeit in der 1960er Jahren. Sie beschreibt, wie das Land die von Südafrika bekannten Muster von Rassismus und Apartheit kopierte:

“Schwarze Körper wurden unterschiedlichen Formen der Gewalt unterzogen, als sich der neue Staat der Siedler etablierte. Dazu gehörten das Verbot schwarzer politischer Parteien, Polizeibrutalität, juristische Schikanen, Entführung, Haft und Folter. Die gewaltsame Verweigerung von Freiheit wurde in Gesetzen festgeschrieben, die unter anderem bestimmten, wo schwarze Menschen wann sein durften, wo schwarze Körper Unterricht erhalten konnten, wo ein schwarzer Körper Land kaufen oder Landwirtschaft betreiben durfte und welche alkoholischen Getränke ein schwarzer Körper wo kaufen oder trinken durfte.”

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Rhodesian soldier interrogating villagers in late 1977 at gunpoint. J. Ross Baughman

Erst nach einem langen blutigen Krieg konnte unter Paul Mugabe die Freiheit erkämpft werden. Doch auch die Transformation vom Hoffnungsland Afrikas zur erneuten Autokratie nach vielen manipulierten Wahlen, war von Gewalt durchdrungen.

“Simbabwe, der Staat, aus dem ich komme, hat nie Frieden gekannt. Unterschiedliche Formen institutionalisierter Gewalt wurden von weißen Körpern gegen schwarze Körper ausgeübt, als die britischen Siedler kamen, um das Land zu besetzen.”

Tsitsi Dangarembga analysierte, wie die innerhalb imperialer Strukturen ausgeübte physische, psychologische, politische, ökonomische, metaphysische und, wie sie es ausdrücklich nennt “genozidale Gewalt” sukzessive dazu geführt habe, dass wir heute in einem System lebten, das als „No-Win-Situation“ beschrieben werden müsse: „Das heißt, dass der Westen mit all seiner Technologie, seinen Überzeugungen und seiner Praxis auf vielfachen weiterhin praktizierten Formen der Gewalt aufgebaut ist, die er in den Rest der Welt exportiert hat und die jetzt in postkolonialen Staaten so eifrig praktiziert werden wie zuvor in imperialen und kolonialen Staaten. […] Es ist wohl bekannt, dass Gewalt weitere Gewalt erzeugt, und das sehen wir heute auf der ganzen Welt, auch in den Heimatstaaten des Imperiums.“

Die Gewalt als Staatsprinzip ist nicht nur in Zimbabwe zu beobachten. Im Grunde, so Dangarembga, sind viele Staaten, die unter den Einfluß des Kolonialismus, vornehmlich des Westens gerieten, von Gewalt, in manchen Fällen gar von Auslöschung betroffen. Und das schon seit dem 15 Jahrhundert, dem Zeitalter der sogenannten Entdeckungen und Eroberungen:

“Diese Arten der Gewalt sind in die Strukturen der globalen Ordnung, in der wir leben, integriert und wurzeln in den Strukturen des westlichen Imperiums, dessen Anfänge sich vor über einem halben Jahrtausend bildeten. Das heißt, dass der Westen mit all seiner Technologie, seinen Überzeugungen und seiner Praxis auf vielfachen weiterhin praktizierten Formen der Gewalt aufgebaut ist, die er in den Rest der Welt exportiert hat und die jetzt in postkolonialen Staaten so eifrig praktiziert werden wie zuvor in imperialen und kolonialen Staaten.”

Denn, so schlussfolgert sie “Es liegt auf der Hand, dass Frieden unter diesen Bedingungen nicht gedeihen kann. Nur Gewalt gedeiht unter den Bedingungen von Gewalt.”

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Tsitsi Dangarembga, photo: Hans Hofele

Doch dabei belässt es Tsitsi Dangarembga nicht. Es führt sie bald zu viel fundamentaleren Ansichten, dass nicht nur Gewalt hausgemacht ist sondern das kapitalistische System ingesamt versagt hat:

“Ein System, das auf Profit basiert, darauf, mehr zu erhalten, als man gibt, ist ein System der Ausbeutung. Ein System, das einerseits Konzentration und andererseits ein Defizit erzeugt, ist ein System des Ungleichgewichts. So ein System ist notwendigerweise instabil und deshalb auch nicht nachhaltig. Wie ist es möglich, dass wir in ein instabiles, nicht nachhaltiges System investieren, das uns zwangsläufig in den Untergang führt?”

Aber wie könnte eine Lösung lauten?: „Die Lösung ist, ethnisch determinierte und andere hierarchische Denkweisen abzuschaffen, die auf demografischen Merkmalen wie sozialem und biologischem Geschlecht, Religion, Nationalität, Klassenzugehörigkeit und jedweden anderen Merkmalen beruhen, die in der gesamten Geschichte und überall auf der Welt die Bausteine des Imperiums waren und noch immer sind. […] Was wir tun können, ist, unsere Denkmuster zu verändern, Wort für Wort, bewusst und beständig, und daran festzuhalten, bis wir Ergebnisse sehen in der Weise, wie wir Dinge tun und welche Folgen sich daraus ergeben.“

Dann ging sie auf die europäische Philosophie der Aufklärung ein, die sie zur Umkehr des “ich denke, also bin ich” zu einem “wir” kommen müssen. Ein echter Paradigmenwechsel. “Mir geht es darum, meine Stimme denen hinzuzufügen, die sagen, dass die Aufklärung der vergangenen Jahrhunderte abgelaufen ist und wir alle auf diesem Planeten heute dringend eine neue Aufklärung brauchen…”

Der Preis, der ihr verliehen wurde würdigte sie in großen Worten und erinnerte gleich an deren Verpflichtung:

“Die Beziehung zwischen Gedanken, Narrativen, Gewalt und Frieden ist es, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels so bemerkenswert macht. Der deutsche Buchhandel würdigt, dass Symbole, die Wörter, die in Büchern stehen, in unseren Gedanken aktiv werden und sie beeinflussen mit der Folge, dass die Wörter, die in Büchern stehen, eine Rolle in der Ausbildung unserer Tendenzen zu entweder Frieden oder Gewalt spielen können.”

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Photo by Tobias_Bohm

Tsitsi Dangarembga ist nicht nur eine würdige Preisträgerin, sie ist, das hat die Rede auch gezeigt, eine Denkerin von Substanz, wie sie Zimbabwe und ganz Afrika braucht und vieleicht noch mehr der Westen. Wenn es ihm gelingt, endlich zu zu hören auf Stimmen, die eigentlich schon immer da sind. Wenn wir die Bücher, die sie schreiben auch lesen, übersetzen, verlegen. Der relativ kleine, aber beständig auf unbequeme AutorInnen setzende Orlanda Verlag hat ihre deutsch übersetzten Bücher imProgramm. Das hat Auma Obama auch in ihrer Laudatio gefordert, lest die Bücher afrikanischer AutorInnen!

Hans Hofele für cultureafrica.net 2021

Quelle der Reden: Börsenverein des Deutschen Buchhandels

https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de

Die Veranstatung wurde im ZDF live gezeigt und ist in der mediathek abrufbar:

https://www.zdf.de/kultur/lesen/friedenspreis-des-deutschen-buchhandels-2021-100.html

Flag of Zimbabwe

ENGLISH VERSION

The Zimbabwean author Tsitsi Dangarembga was awarded the Peace Prize of the German Book Trade on Sunday, 24.10.21 in Frankfurt am Main. Cultureafrica was there, too.

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Frankfurt Paulskirche, Photo: Hans Hofele

The award ceremony took place in the Paulskirche in front of 400 invited guests, including Minister of State for Culture Grüters and numerous representatives of the press. Tsitsi Dangarembga is only the third author from sub-Saharan Africa in over 70 years of receiving the Peace Prize, after Léopold Sédar Senghor in 1968 and Chinua Achebe in 2002.

The prize is awarded for literary work as well as social commitment for the benefit of international understanding. It is also a prize that has often sparked debate and discussion. She also joins a line of famous authors such as Astrid Lindgren, Mario Vargas Llosa, Max Frisch and Susan Sonntag.

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Tsitsi Dangarembga at Frankfurt Paulskirche, Photo: Hans Hofele

“Life would have been a lot easier, for you, for us, if we could have done this.” Auma Obama

The laudation was given by Auma Obama, sister of the former American president and study friend of Tsitsi Dangarembga. Both studied film in Berlin in the late 1980s.

Laudator Auma Obama emphasised that Dangarembga feels a responsibility to promote change. As an activist, she has become one of the most important voices on the African continent. For its part, the Börsenverein des Deutschen Buchhandels (German Publishers and Booksellers Association) praised Dangarembga’s special gift as an author and filmmaker to “move and shake people up” and change the world for the better. This is constantly met with resistance. But despite all the obstacles, she courageously fights every day for those without a voice and for freedom of expression:

“I’m sure sometimes you would have preferred to give up, Tsitsi, and give in to the temptation to just live a normal, ordinary life. Why go to the trouble of making yourself heard if you can somehow get away with it? Why necessarily create a forum for more justice? Life would have been much easier, for you, for us, if we could have done that. But you are not ordinary,” said Auma Obama.

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Auma Obama, Photo by Hans Hofele

In her acceptance speech, Tsitsi Dangarembga went far, bringing a biblical image into the speech by comparing herself to Jonah, in the whale. (He was once sent by God to announce doom to the city of Nineveh, but refused and ended up in the belly of a whale after a stormy journey before being pardoned).

She reminded the audience of the violent history of her home country, Zimbabwe, which was conquered by the racist Cecil B. Rhodes in the late 19th century. Rhodes at the end of the 19th century on behalf of the British. Rhodesia clung to the white minority regime even after formal independence in the 1960s. She describes how the country copied the patterns of racism and apartheid familiar from South Africa:

“Black bodies were subjected to various forms of violence as the new settler state established itself. These included the banning of black political parties, police brutality, legal harassment, kidnapping, imprisonment and torture. The violent denial of freedom was codified in laws that determined, among other things, where black people could be and when, where black bodies could receive education, where a black body could buy land or farm, and what alcoholic beverages a black body could buy or drink and where.”

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Rhodesian soldier interrogating villagers in late 1977 at gunpoint. J. Ross Baughman

It was only after a long bloody war that freedom was won under Paul Mugabe. But the transformation from a country of hope in Africa to a renewed autocracy after many rigged elections was also permeated with violence.

“Zimbabwe, the state I come from, has never known peace. Different forms of institutionalised violence were perpetrated by white bodies against black bodies when the British settlers came to occupy the land.”

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tsitsi dangarembga, photo: Hans Hofele

Tsitsi Dangarembga analysed how the physical, psychological, political, economic, metaphysical and what she explicitly calls “genocidal violence” exercised within imperial structures has successively led to the fact that today we live in a system that must be described as a “no-win situation”:

“That is, the West, with all its technology, beliefs and practices, is built on multiple forms of violence that it has continued to practice and export to the rest of the world, and which are now practised as assiduously in post-colonial states as they were previously in imperial and colonial states. […] It is well known that violence begets further violence, and we see this all over the world today, including in the home states of empire.”

Violence as a state principle is not unique to Zimbabwe. Basically, according to Dangarembga, many states that have come under the influence of colonialism, primarily of the West, have been affected by violence, in some cases even by extinction. And this has been the case since the 15th century, the age of so-called discoveries and conquests:

“These types of violence are built into the structures of the global order in which we live and are rooted in the structures of the Western empire whose beginnings were formed over half a millennium ago. That is, the West, with all its technology, beliefs and practices, is built on multiple forms of violence that continue to be practised, which it has exported to the rest of the world and which are now practised as assiduously in post-colonial states as they were previously in imperial and colonial states.”

Because, she concludes “It is obvious that peace cannot thrive under these conditions. Only violence thrives under conditions of violence.”

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Tsitsi Dangarembga at Frankfurt Paulskirche, Photo: Hans Hofele

But Tsitsi Dangarembga does not leave it at that. It soon leads her to much more fundamental views that not only is violence home-made but the capitalist system as a whole has failed:

“A system based on profit, on getting more than you give, is a system of exploitation. A system that creates concentration on the one hand and a deficit on the other is a system of imbalance. Such a system is necessarily unstable and therefore unsustainable. How is it possible that we invest in an unstable, unsustainable system that inevitably leads us to ruin?”

But what could be a solution? “The solution is to abolish ethnically determined and other hierarchical mindsets based on demographics such as social and biological gender, religion, nationality, class and any other characteristics that have been and still are the building blocks of empire throughout history and around the world. […] What we can do is change our thought patterns, word by word, consciously and consistently, and stick to it until we see results in the way we do things and what the consequences are.”

She then went on to discuss the European philosophy of the Enlightenment, which she said must lead to the reversal of “I think, therefore I am” to a “we”. A real paradigm shift. “I am about adding my voice to those who say that the Enlightenment of the past centuries has run its course and that all of us on this planet today urgently need a new Enlightenment…”

The award she was given acknowledged her in grand terms and immediately reminded her of their commitment:

“The relationship between thoughts, narratives, violence and peace is what makes the German Book Trade Peace Prize so remarkable. The German Book Trade recognises that symbols, the words that are in books, become active in our thoughts and influence them with the consequence that the words that are in books can play a role in forming our tendencies towards either peace or violence.”

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Photo by Tobias_Bohm

Photo by Tobias_Bohm

Tsitsi Dangarembga is not only a worthy laureate, she is, as the speech also showed, a thinker of substance, as Zimbabwe and the whole of Africa needs her, and perhaps even more so the West. If it can finally listen to voices that have actually always been there. If we also read, translate and publish the books they write. Orlanda Verlag, a relatively small publishing house that consistently focuses on uncomfortable authors, has her books translated into German in its programme. This is what Auma Obama called for in her laudation, read the books of African authors!

Hans Hofele for cultureafrica.net 2021

Source of the speeches: Börsenverein des Deutschen Buchhandels

https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de