Violence: Gewalterfahrung in Simbabwe: Die Schwere des Seins edited by Tsistsi Dangarembga deutsch/english
Es ist ein hartes Buch, ein zuweilen brutales Stück Literatur. Ganz und gar keine leichte Kost: “Die Schwere des Seins – Postkoloniale Erzählungen aus Simbabwe” ist, anders als der Titel vielleicht vermuten lässt, kein melancholischer Bericht.
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Es versammelt sieben Erzählungen von simbabwischen AutorInnen, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Es handelt sich meist um Gewalterfahrungen. Die Erzählungen entstammen einem literarischen Workshop, der 2012 unter Leitung von Tsitsi Dangarembga, Madeleine Thien und Ignatius Tirivangani Mabasa in Simbabwes Hauptstadt Harare stattfand. Einem Aufruf folgend, wurde die 60 eingesandten Schriftstücke – basierend auf Zeugenaussagen, Geständnissen, Erinnerungen, Bekenntnissen – von den AutorInnen diskutiert und in literarische Geschichten verarbeitet. Madeleine Thien, die das Vorwort geschrieben hat, beschreibt es so: “Briefe aus ganz Simbabwe. In den Schreiben ist jede Form des Ausdrucks zu hören: Schreie, Geflüster, Weinen. manche Stimmen sind sachlich, manche stehen noch unter Schock. Viele stellen unbeantwortete Fragen.” Der Orlanda Verlag hat nun die von Annette Grube aus dem Englischen übersetzte Fassung, zehn Jahre nach ihrem ersten Erscheinen, veröffentlicht.
“Simbabwe, der Staat, aus dem ich komme, hat nie Frieden gekannt. Unterschiedliche Formen institutionalisierter Gewalt wurden von weißen Körpern gegen schwarze Körper ausgeübt, als die britischen Siedler kamen, um das Land zu besetzen.” Tsitsi Dangarembga
Beteiligte AutorInnen waren: Ignatius Tirivangani Mabasa, Yandani Mlilo, Tsitsi Dangarembga, Elizabeth R.S. Muchemwa, Charmaine R. Mujeri, Karen Mukwasi. Im Workshop wurden die Berichte offen diskutiert, der Wahrheitsgehalt, die Schilderungen auf Plausibilität überprüft. Es war wohl aber auch ein gegenseitiges Halten, um die unfassbare Schilderungen selber zu verarbeiten. Denn das was dort geschildert, ist schonungslos und unbarmherzig. Es zeigt in einen Abgrund von Unmenschlichkeit, dem durch Worte eine Stimme gegeben wird.
Da berichtet eine Mutter von der Vergewaltigung einer Tochter, die Trisomie 21 hat. Täter ist der Sohn eines Dorfobersten. Man hört von den brutalen Einschüchterungsversuchen einer drogenbenebelten Terrortruppe der Parteijugend Mugabes, einem brutalen Übergriffs eines Nachbarn auf eine Frau, weil deren Ziegen Teile der Ernte fraßen. Die sieben Geschichten sind mitunter ganz harte Kost. Die Ungesetzlichkeit, die Verrohung, der Machtmissbrauch, die Straflosigkeit. Alles Chiffren, für die die Geschichte Simbabwes, das mehrere Jahrzehnte “Süd-Rhodesien” genannt wurde, selbst stand. Ob diese Geschichten nun postkolonial deklariert werden oder nicht, die Gewalt fand vor, während und nach der Kolonisierung auch statt. Während die Nachbarländer Sambia und Malawi in den 1960er Jahren unabhängig wurden und den Weg zum Parlamentarismus wählten, wollte die weiße Minderheit in Simbabwe Land und Macht nicht aus den Händen geben. International isoliert, entstand ein gewalttätiges Regime, dass seine Macht im Inneren mit Terror festhielt. Die 1980 erlangte, endgültige Unabhängigkeit, führte nur kurz zu relativer Freiheit. Robert Mugabe sollte 37 Jahre das Land führen; auch er am Ende völlig isoliert von der Weltgemeinschaft.
Über die Entstehung von Gewalt und was der Westen damit zu tun hat, hat sich Tsitsi Dangarembga auch in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels beschäftigt. Dazu gibt es von cultureafrica.net einen Artikelhttps://www.cultureafrica.net/friedenspreisverleihung/
“Das Schweigen. Es ist das Schweigen, das mir am meisten Sorgen bereitet. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob ich lebend wieder herauskomme.”
Viel schwerwiegender für die Bevölkerung war nicht nur der wirtschaftliche Niedergang des Landes. Mugabes Einparteienherrschaft schaffte ein Klima der Angst und Einschüchterung. In “Die Schwere des Seins” bekommt man einen Eindruck davon, was es heißt, auf der anderen Seite zu stehen, Opposition zu sein oder nur verdächtigt wird, Opposition zu sein. Manchmal reicht es schon, der Missgunst eines Parteifreundes zu erregen, um in tödliche Gefahr zu geraten. Es zeigt uns in ihrer Schonungslosigkeit, wie sich Menschen, vor allem sind es Männer, wenn eine Aussicht auf Straflosigkeit herrscht, ihre Gewalt- und Sexualphantasien ausleben können. Denn auch im privaten Umfeld führen die Verhältnisse der Unsicherheit und Straflosigkeit dazu, dass Männer sich einfach nehmen, was sie begehren, dass Ehemänner ihre Frauen aus nichtigem Anlass prügeln oder gar töten. Das ist verstörend. Dennoch wird man im Bann gehalten, halb schockiert, halb von Neugier getrieben, wie diese Schicksale enden mögen. Gibt es gar ein Ende. Vielfach wird über diese Erfahrungen des Ausgeliefertseins, der Demütigung, des blanken Terrors lange geschwiegen. Oftmals sind die eingesandten Berichte der erste Akt der Aufarbeitung. Denn oft wird nach den Taten auch noch das Opfer stigmatisiert. Falsch wäre es, auf dieses Land, diesen Kontinent zu zeigen. Denn Machtmissbrauch, patriarchale und sexualisierte Gewalt, Negierung von Menschenrechten, ist weltweit ein Problem. Und gerade mit Blick in die deutsche Vergangenheit lässt sich sehen, wie dünn das Eis sein kann, auf dem sich eine freiheitliche, demokratische Gesellschaft bewegen kann. So gesehen, ist dieser Band nicht nur ein erschütternder Blick in die jüngste Vergangenheit Simbabwes. Es ist ein Blick in menschliche Abgründe. Aufklärung darüber, auch wenn sie sie so schmerzlich wie in diesem Buch ist, kann dazu beitragen, dass sich etwas ändert. Nicht nur in Simbabwe. Denn es gibt auch Hoffnung in diesem Buch, es ist nicht nur Düsternis. Es gibt Wege zur Gerechtigkeit und zur Veränderung. Hans Hofele
Tsitsi Dangarembga (Hg.) “Die Schwere des Seins – Postkoloniale Erzählungen aus Simbabwe”
aus dem Englischen von Annette Grube
Orlanda Verlag Berlin 128 Seiten
ENGLISH
It is a tough book, an occasionally brutal piece of literature. Not at all light fare: “The Gravity of Being – Postcolonial Narratives from Zimbabwe” (Originally issued as: A Family Portrait) is, contrary to what the title might suggest, not a melancholy account.
It brings together seven stories by Zimbabwean authors based on true events. Stories that are mostly based on experiences of violence. The stories originate from a literary workshop that took place in 2012 under the direction of Tsitsi Dangarembga, Madeleine Thien and Ignatius Tirivangani Mabasa in Zimbabwe’s capital Harare. Following an appeal, the 60 pieces of writing submitted – based on witness statements, confessions, memories and confessions – were discussed by the authors and turned into literary stories. Madeleine Thien, who wrote the foreword, describes it as follows: “Letters from all over Zimbabwe. Every form of expression can be heard in the letters: Cries, whispers, weeping. some voices are matter-of-fact, some are still in shock. Many ask unanswered questions.” Orlanda Verlag has now published the version translated from English by Annette Grube ten years after it first appeared.
Participating authors were: Ignatius Tirivangani Mabasa, Yandani Mlilo, Tsitsi Dangarembga, Elizabeth R.S. Muchemwa, Charmaine R. Mujeri, Karen Mukwasi. In the workshop, the reports were discussed openly, the truthfulness and plausibility of the accounts were examined. But it was probably also a case of holding each other up to process the incredible accounts themselves. Because what is described there is relentless and merciless. It points into an abyss of inhumanity that is given a voice through words.
“The silence. It’s the silence that worries me the most. It’s not the first time I’ve wondered if I’ll get out alive.”
A mother reports the rape of a daughter who has trisomy 21. The perpetrator is the son of a village chief. We hear about the brutal attempts at intimidation by a drug-fuelled terror squad of Mugabe’s party youth, a brutal attack by a neighbor on a woman because her goats ate part of the harvest. The seven stories are sometimes very tough fare. The illegality, the brutalization, the abuse of power, the impunity. All ciphers for which the history of Zimbabwe, which was called Southern Rhodesia for several decades, itself stood. Whether these stories are declared post-colonial or not, the violence also took place before, during and after colonization. While the neighboring countries of Zambia and Malawi became independent in the 1960s and chose the path to parliamentarianism, the white minority in Zimbabwe did not want to relinquish land and power. Isolated internationally, a violent regime emerged that held on to its power internally with terror. The final independence gained in 1980 only led to relative freedom for a short time. Robert Mugabe was to lead the country for 37 years; in the end, he too was completely isolated from the international community.
See also the article about Tsitsi Dangarembgas speech 2021: https://www.cultureafrica.net/friedenspreisverleihung/
Much more serious for the population was not only the country’s economic decline. Mugabe’s one-party rule created a climate of fear and intimidation. In “The gravity of being” you get an impression of what it means to be on the other side, to be opposition or just suspected of being opposition. Sometimes it is enough to arouse the disfavor of a party colleague to put you in mortal danger. In its ruthlessness, it shows us how people, especially men, can live out their violent and sexual fantasies when there is the prospect of impunity. Because even in the private sphere, the conditions of insecurity and impunity lead to men simply taking what they desire, husbands beating or even killing their wives for no good reason. That is disturbing. Nevertheless, you are held spellbound, half shocked, half driven by curiosity as to how these fates may end. Is there even an end? These experiences of being at the mercy of others, of humiliation, of sheer terror are often kept silent for a long time. The reports sent in are often the first act of coming to terms with the past. This is because the victim is often stigmatized after the acts.It would be wrong to point the finger at this country, this continent. Because abuse of power, patriarchal and sexualized violence, negation of human rights, is a problem worldwide. And a look at the German past in particular shows how thin the ice can be on which a liberal, democratic society can move. Seen in this light, this volume is not just a harrowing look into Zimbabwe’s recent past. It is a look into human abysses. Clarification of this, even if it is as painful as in this book, can help to bring about change. Not only in Zimbabwe. Because there is also hope in this book, it is not all gloom. There are paths to justice and to change.
Hans Hofele
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