Koloniale Abrechnung _ Roter Staub
„Seit ich mit dreizehn Jahren Mosambik verlassen habe, wollte ich über den Kolonialismus schreiben. Ich wusste damals natürlich nicht, wie man so eine Geschichte schreibt, aber ich wollte sie erzählen.”
Isabela Figueiredo im Interview mit dem deutschlandfunk am 8.1.2020
Mit “Roter Staub” gelang Isabela Figueiredo 2009 ein handfester Skandal in Portugal. Und ein Erfolg, dem bis heute neun Auflagen folgten. Das Buch ist eine sehr persönliche Abrechnung mit den in ihrer Kindheit gemachten Erfahrungen im kolonialen Mosambik. Dort wuchs Isabela bis zum 12. Lebensjahr mit ihrer Familie auf. Das hereinbrechende Chaos des Endes der Kolonialzeit hat sie mit einer scharfen Anklage gegen ihren Vater verbunden. Dennoch wartete sie bis zu seinem Tod, um dieses Buch zu veröffentlichen. Seit Herbst 2019 ist es auch auf Deutsch erschienen.
Weiße Herrschaft in Mosambik
Im Zentrum der Geschichte steht der Vater der Autorin, ein Elektriker, der seit den 1950er Jahren in Mosambik lebt und arbeitet. Er ist den ärmlichen Verhältnissen der portugiesischen Provinz entflohen und entfaltet nun seine Macht als weißer portugiesischer Siedler. Mit den in Mosambik lebenden Schwarzen pflegt er ein scheinbar kollegiales Verhältnis, hat er doch einige in seinem Betrieb angestellt. Obwohl es in den portugiesischen Besitzungen offiziell keine Rassentrennung wie im benachbarten Südafrika und Rhodesien gibt, ist defacto die Herrschaft Weiß. Seine mitunter abschätzigen bis rassistischen Bemerkungen, die auch Teil der Familiensprache geworden ist, gelten auch und im Besonderen den einheimischen Frauen. Fast schon typisch für die weiße Kolonialherrschaft ist die sexuelle Ausbeutung der schwarzen Frauen bei gleichzeitiger Geringschätzung.
Die Tochter erlebt das hautnah mit. Sie beobachtet genau, was ihr Vater so treibt. Seine Widersprüchlichkeit. Seinen Rassismus. Sie erlebt auch, welches Privileg es ist, als fast unantastbare weißen Siedlerstochter dort sorglos aufzuwachsen während in der einheimischen Bevölkerung der Unmut über die Unfreiheit wächst. Immerhin sind schon viele Länder ringsum unabhängig geworden. Es gärt also.
Chaotischer Niedergang
1974 beendet die Nelkenrevolution in Portugal die jahrzehntelange Kolonialzeit in Afrika. Der Rückzug verläuft chaotisch, die Siedler werden aufgefordert nach Hause zu kommen. Die FRELIMO, die Widerstandsbewegung in Mosambik schürt Ressentiments gegen die alten Kolonialherren. In blutigen Gemetzeln bricht sich der Zorn jahrelanger Unterdrückung seine Bahn. Die Familie Figueiredo wird Zeuge brutaler Racheakte an den Siedlern und vermeintlichen Kollaborateuren. Isabela wird nach Portugal geschickt, sie soll der Gewalt entkommen. Ihr Vater gibt ihr mit auf den Weg, sie solle in ihrem Zuhause in Portugal und der Welt erzählen, welches Unrecht den Weissen dort geschieht. In Briefen erinnert er sie immer wieder daran. Doch sie tut ihm den Gefallen nicht.
Harte Sprache
Gleich zu Beginn ihres Buches konfrontiert Isabela Figueiredo ihre Leser und Leserinnen mit einer harten, von Rassismus gefärbten Sprache:
„Ich weiß genau, wie ein Rassist spricht. Ich kenne das gesamte Vokabular. Es steckt in meinem Kopf. Denn das war es, was ich die ganze Zeit gehört habe. Natürlich ist das grauenhaft. Es blieb in mir, weil alles so gewaltsam und so prägend war. Und das ist auch mein persönliches Trauma.“
Isabela Figueiredo im Interview mit dem deutschlandfunk am 8.1.2020
Diese Sprache ist es sicherlich auch, die in Portugal zu einem Skandal um dieses Buch geführt hat. Dort hatte man die Kolonialzeit doch als eher mild und “zivilisiert” betrachtet. Ungeschönt, aus der Sicht eines heranwachsenden Kindes erzählt, merkt man schon bald eine Veränderung in der Geschichte. Der Vater ist schon bald nicht mehr der heldenhaften Mensch, dem alles gelingt. Immer mehr bemerkt Isabela den gewalttätigen Charakter ihres Vaters im alltäglichen Umgang mit den Einheimischen. Der gleichzeitig stolz auf die Tochter ist und sie auch gern vorstellt.
Kühl und eindringlich beschreibt sie den Alltag. Wie es nur ein Kind beschreiben kann, ungekünstelt, frei von Lügen und Selbstbetrug. Der Rassismus wird in Lourenco Marques, wie die Hauptstadt Maputo damals noch genannt wird, ganz selbstverständlich gelebt. Und ganz selbstverständlich benutzt die junge Isabella diese Sprache.
Aber es bleibt nicht so. An kleinen Episoden erzählt sie parabelhaft die Wandlung in der Wahrnehmung des Kindes. Sind die Schwarzen in den Augen des Vaters nur Nichtsnutze und Diebe, erfährt sie das Gegenteil. Als ihr Ring bei einer Kinovorstellung verloren geht, ist es ein schwarzer Junge, der ihn findet und zu ihr bringt. Das bringt ihr Bild ins Wanken. Der Vater wird nun immer mehr hinterfragt, er wird ihr Gegner.
Es gehört zu den interessanten Widersprüchen des Buches, das es dem Vater gewidmet ist.
Fazit
Aus erzählerischer Sicht ist “Roter Staub” ein ungewöhnliches Buch. Keine große Literatur, keine geschliffenen Sätze und auch keine überraschenden Entwicklungen. Mehr nüchterner Bericht. Dennoch fesselnd. Das Ende der Kolonialzeit als Coming-of-Age Geschichte. So etwas hat man lange nicht gelesen. In seiner schroffen, unverblümten Art ist es ein wichtiges Buch zur Kolonialgeschichte und gleichzeitig ein ungewollt aktueller Beitrag zur Rassismusdebatte.
Hans Hofele
Isabela Figueiredo: „Roter Staub. Mosambik am Ende der Kolonialzeit“
Aus dem Portugiesischen von Markus Sahr
Weidle Verlag, Bonn. 172 Seiten, 23 Euro.