
White Myths- Black History/Weiße Mythen – Schwarze Geschichte – Michael Harriot: Black as F***
White Myths- Black History/Weiße Mythen – Schwarze Geschichte – Michael Harriot: Black as F***
Michael Harriot erzählt in Black as F*** – Die wahre Geschichte der USA“
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Kurz nach der Bekanntgabe der Präsidentschaft-Kandidatur von Kamala Harris stellte Donald Trump die Frage in den Raum, ob Harris überhaupt Schwarz sei. Wieder hatte die USA eine Diskussion, die dann auftaucht, wenn, wie Obama 2008, Schwarze für ein hohes Amt kandidieren. Dann holt die Geschichte sie ein. Doch es ist eine Geschichte, die von Weißen geschrieben wurde. Michael Harriot hat etwas dagegen, dass dies so bleibt. In seinem nun auf Deutsch erschienen Buch Black as F*** erzählt der afro-amerikanische Autor seine Version der Geschichte der USA. Und räumt mit vielen Mythen auf.

Am 26. April 1607 legen an der Küste Virginias im heutigen Jamestown drei britische Schiffe an. 104 Siedler aus England unternehmen den Versuch, in Amerika dauerhaft Fuß zu fassen. Das Unternehmen scheitert kläglich. Mangelnde Kenntnisse im Anbau von Feldfrüchten und Jagen, ein raues Klima und vor allem Selbstüberschätzung bringen das Vorhaben zum Scheitern. Erst als ein paar Jahre später importierte Sklaven beim Aufbau helfen, wird das Projekt „Neue Welt“ ein Erfolg. Ein Erfolg der auf der geraubten Menschenkraft aufbaut. Zuvor führt ein freier Sklave namens Estéban die hilflos agierenden spanischen Eroberer sicher durch die Sümpfe Floridas bis hin nach Mexiko und rettet damit die Mission Amerika für die Spanier. In Carolina führen die Kenntnisse afrikanischer Sklaven vom Reisanbau zum Erfolg der sonst verlorenen Kolonie. Die Eroberung und Etablierung der europäischen Besiedlung der heutigen USA wäre ohne Gewalt, Ausbeutung und Missachtung der Menschenrechte nicht möglich gewesen. In amerikanischen, aber auch europäischen Schulbüchern ist davon bis heute wenig zu lesen. Diese Geschichte ist für Michael Harriot nicht nur eine alternative Version, sondern die eines „gänzlich anderen Orts, völlig unvereinbar mit jener weißgewaschenen Mythologie, die in unserem kollektiven Gedächtnis verankert ist.“ Black as F*** unternimmt den Versuch, ein Geschichtsbuch, vielmehr ein Buch vieler Geschichten zu sein, das die Historie aus Schwarzer amerikanischer Sicht erzählt. Einer Geschichte, die geprägt ist vom Leid der Sklaven, aber auch vom Widerstand gegen die Verhältnisse, die von Anfang an auf Gewalt, Ausbeutung und Diskriminierung angelegt war. Kein Schicksalhaftes Ergeben, sondern Mut, Erfindungsreichtum und der Möglichkeit, die Verhältnisse zu verändern, ist der rote Faden, der sich durch das wuchtige Werk zieht. Wir erfahren von der trickreichen Flucht aus der Sklaverei, der sogenannten „Underground Railroad“, der Angst der Sklavenhalter vor der Bildung ihrer gefangenen Menschen, der Aufstände, der Opposition bis ins zwanzigste Jahrhundert – und der brutalen Reaktion der weißen Mehrheit. „Die weiße Vorherrschaft“, da ist sich Michael Harriot sicher, „ist das Gründungsprinzip Amerikas.“
Harriot ist in den USA ein profilierter Journalist und meinungsstarker Kolumnist für Zeitungen und vielen Fernsehsendern, mit eigenem Podcast; ein gern gesehener Gast in Talkshows. In seinem Buch nimmt er die Leser mit, tief in die Welt seiner Südstaatenheimat. Viel Persönliches ist zu erfahren, über seine Kindheit und Jugend, die vom Unterricht durch die Mutter geprägt waren. Im sogenannten Middle Room des weitläufigen Elternhauses wurden Michael und seine Geschwister erzogen, hier entdeckten sie die Welt des Wissens, auch jenseits der weißen Bildungswelt.
Der Aufbau und die Sprache ist gewöhnungsbedürftig: da gibt es neben historischen Essays mit profunder Kenntnis auch inszenierte Interviews mit dem Racist Baby, (rhetorische) Fragen/Antworten nach jedem Kapitel. Harris wählt eine unterhaltsame Sprache, die bei allem historischen Fakten und name dropping, einen guten Lesefluss ermöglicht, Slang Wörter prasseln manchmal genauso herein wie Verweise auf die Popkultur: „Nein, nicht der James Brown, der würde so was nie tun“ als es um einen Mann geht, der als Rache nach einem Anschlag zum Mord an allen Weißen aufruft. Das nimmt dem Leser die Bitterkeit und Drastik, die manchen Kapiteln innewohnt.
Denn das die Geschichte der Schwarzen in den USA keine leichte Kost ist, dürfte klar sein. Umso erstaunlicher ist es, dass Harriot viel erzählt vom blutigen Widerstand der Schwarzen seit dem Beginn der Sklaverei. Da gibt es neben den Fluchtversuchen durch die „Railroad“, einem Fluchtnetzwerk, durch das über 100.000 Mensch ihrem unwürdigen Dasein entkommen, immer auch aktiven Widerstand gegen Sklaverei, gegen die Bedrohung des Ku-Klux-Klans, den Lynchmobs und der Staatsgewalt. Erschreckend zu lesen ist, wie selbstverständlich Staatsführer- und Denker von Thomas Jefferson, Abraham Lincoln bis John Locke vom Rassismus der „White Supremacy“ durchdrungen waren. Ein Sockelsturz der amerikanischen und europäischen Denker; man muss sie eben genau lesen – das hat Harriot getan. Das Buch richtet sich an eine jüngere Leserschaft, Bildung und Aufklärung ist Harriots’ großes Anliegen. Auch das kreuz und quer lesen ist möglich, denn das voluminöse Buch droht einen zwischendurch zu erschlagen. Beeindruckend ist die Fülle der Fakten und die Genauigkeit, mit der Harriot vorgeht. Es gibt einen umfangreichen Anhang.
Nach den bahnbrechenden Büchern von Ibrahim X. Kendi („Gebrandmarkt“) und Howard French („Born in Blackness“), ist Harriot ein weiteres Schwergewicht unter den historischen Autoren der jungen Schwarzen Generation. Einer Generation, die nicht erst seit der Black Lives Matters-Bewegung ab 2020 entstand, die aber jetzt erst richtig wahrgenommen wird und von den Verlagen nicht zuletzt auch in Deutschland publiziert werden. Was hat Deutschland damit zu tun? Als eine der größten Siedlergruppen in den USA sicher eine ganze Menge. Das Bild vom braven Siedler, der sich aus eigener Kraft eine neue Heimat in der neuen Welt aufbaut, hält der Historie nicht stand. Auch deutsche Siedler sind tief verstrickt in die Sklavenhaltung, in der späteren Diskriminierung und des nicht anerkennen der Bürgerrechte der Schwarzen, in Lynchmorde. „Das Ziel war nie, Amerikaner zu werden, sondern zu leben, in Freiheit zu leben“ resümiert Harriot. Die Schwarze Geschichtsschreibung nimmt gerade erst richtig Fahrt auf, wir müssen uns auf einige unangenehme Wahrheiten in Zukunft einstellen.
Michael Harriot: „Black as F*** – Die wahre Geschichte der USA“, HarperCollins, 558 Seiten, 26 Euro
ENGLISH VERSION
Shortly after Kamala Harris announced her candidacy for the presidency, Donald Trump raised the question of whether Harris was black at all. Once again, the USA had a discussion that arises when, like Obama in 2008, black people run for high office. Then history catches up with them. But it is a history written by white people. Michael Harriot has something against it staying that way. In his book Black as F***, now published in German, the African-American author tells his version of the history of the USA. And dispels many myths.
On April 26, 1607, three British ships dock on the Virginia coast in what is now Jamestown. 104 settlers from England attempt to gain a permanent foothold in America. The venture fails miserably. A lack of knowledge in the cultivation of crops and hunting, a harsh climate and, above all, overconfidence caused the project to fail. Only a few years later, when imported slaves help with the construction, does the “New World” project become a success. A success based on the stolen power of man. Before that, a free slave named Estéban leads the helpless Spanish conquistadors safely through the swamps of Florida all the way to Mexico, thus saving the mission of America for the Spaniards. In Carolina, the African slaves’ knowledge of rice cultivation led to the success of the otherwise lost colony.
The conquest and establishment of the European colonization of what is now the USA would not have been possible without violence, exploitation and disregard for human rights. In American and European school textbooks, little of this can be read to this day. For Michael Harriot, this history is not just an alternative version, but that of a “completely different place, completely incompatible with the white-washed mythology that is anchored in our collective memory.” Black as F*** attempts to be a history book, rather a book of many stories that tells history from a Black American perspective. A history that is characterized by the suffering of slaves, but also by resistance to conditions that were designed from the outset for violence, exploitation and discrimination. The common thread that runs through this powerful work is not fateful surrender, but courage, inventiveness and the possibility of changing conditions. We learn about the tricky escape from slavery, the so-called “Underground Railroad”, the slave owners’ fear of educating their captives, the uprisings, the opposition right up to the twentieth century – and the brutal reaction of the white majority. “White supremacy,” Michael Harriot is certain, ”is the founding principle of America.”
Harriot is a high-profile journalist and opinionated columnist for newspapers and many television stations in the USA, with his own podcast; a welcome guest on talk shows. In his book, he takes the reader deep into the world of his Southern home. There are many personal details about his childhood and youth, which were shaped by his mother’s teaching. Michael and his siblings were brought up in the so-called Middle Room of their parents’ spacious home, where they discovered the world of knowledge, even beyond the world of white education.
The structure and language take some getting used to: in addition to historical essays with profound knowledge, there are also staged interviews with the Racist Baby, (rhetorical) questions/answers after each chapter. Harris chooses an entertaining language which, despite all the historical facts and name dropping, allows for a good flow of reading, slang words sometimes patter in as well as references to pop culture: “No, not James Brown, he would never do such a thing” when it comes to a man who calls for the murder of all white people as revenge after an attack. This takes away the bitterness and drasticness inherent in some chapters.
It should be clear that the history of black people in the USA is not light fare. It is therefore all the more astonishing that Harriot tells a lot about the bloody resistance of black people since the beginning of slavery. In addition to the escape attempts via the “Railroad”, an escape network through which over 100,000 people escaped their undignified existence, there is always active resistance against slavery, against the threat of the Ku Klux Klan, the lynch mobs and state violence. It is frightening to read how naturally state leaders and thinkers from Thomas Jefferson, Abraham Lincoln to John Locke were imbued with the racism of “white supremacy”. A pedestal toppling of American and European thinkers; you just have to read them carefully – which Harriot has done. The book is aimed at a younger readership; education and enlightenment is Harriots’ main concern. It is also possible to read it in a criss-cross fashion, as the voluminous book threatens to overwhelm you from time to time. The wealth of facts and the precision with which Harriot proceeds is impressive. There is an extensive appendix.
After the groundbreaking books by Ibrahim X. Kendi (“Gebrandmarkt”) and Howard French (“Born in Blackness”), Harriot is another heavyweight among the historical authors of the young Black generation. A generation that has not only emerged since the Black Lives Matters movement from 2020, but which is only now really being recognized and published by publishers, not least in Germany. What does Germany have to do with it? As one of the largest settler groups in the USA, certainly a lot. The image of the well-behaved settler who builds a new home in the New World through his own efforts does not stand up to history. German settlers are also deeply involved in slavery, in the later discrimination and non-recognition of the civil rights of black people, in lynchings. “The goal was never to become an American, but to live, to live in freedom,” summarizes Harriot. Black historiography is only just picking up speed and we have to prepare ourselves for some unpleasant truths in the future.
Michael Harriot: „Black as F*** – Die wahre Geschichte der USA“, HarperCollins, 558 Seiten, 26 Euro

