An Uncomfortable Truth: Howard W. French: Born in Blackness – Afrika und die Entstehung der modernen Welt_deutsch_englisch
Dieses Buch ist ein Paukenschlag. Afrika und die Entstehung der modernen Welt von Howard W. French. Es kommt zur rechten Zeit und hat das Zeug, die bisherige Geschichtsschreibung über Afrika und den Westen neu definieren zu müssen. Howard W. French, Professor für Journalismus an der Columbia-Universität in New York , überzeugt mit einer klaren Analyse der Verwicklung der europäischen Mächte mit dem Gold-und Sklavenhandel vom Beginn der Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert.
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Afrika und die Entstehung der modernen Welt, auf deutsch jetzt bei Klett-Cotta erschienen, ist als wichtiger Beitrag in der Neuinterpretation von historischen Fakten und Zusammenhängen zu sehen. Das frappierende sind nicht nur die vielen Fakten, die French darstellt. Es wird schon relativ früh beim Lesen klar, dass es vor allem das Verschweigen oder Negieren von Fakten und Zusammenhängen ist, die eine Offenlegung eines der dunkelsten Kapitel der westlichen Geschichte möglich gemacht haben. Eine zentrale These des Buchs ist, das Afrika mit seine Ressourcen an Gold und Zwangsarbeitern, über zwölf Millionen Sklaven und dem Absatzmarkt für Textilien, einen unerhörten Aufstieg der europäischen Seefahrernationen wie Portugal, Spanien, Niederlande, Frankreich und England, später auch die Sklavenhalternation USA, erst ermöglich gemacht haben. Denn: Mit keinem anderen Produkt als dem Zucker konnten so exorbitante Gewinne erzielt werden. Auch dies war nur möglich, nachdem das kleine Portugal, eine bisher unterschätzte Größe im Zusammenhang mit der Wirtschaftsgeschichte, als Vorreiter für den Dreieckshandel fungierte. Sie waren die ersten Europäer an Afrikas Westküste, haben mit Elmina einen festen Stützpunkt errichtet, um die Küste zu kontrollieren und den Goldhandel zu etablieren.
Portugal, die unscheinbare Großmacht
Waren die Portugiesen nicht auf dem Weg nach Indien um Gewürzhandel zu treiben? War Afrika nicht immer nur Station dorthin? Ja und vor allem Nein. Schnell erkannte Portugal, dass es sich lohnt, in Afrika selbst Handel zu treiben. Dass der Handel mit Afrika mehr bedeutet und sich schließlich als wichtigste Einnahmequelle der portugiesischen Könige entwickelte. Die Nachrichten verbreiteten sich aber in Europa, die Begehrlichkeiten wuchsen. Portugal musste nun anderen Nationen wie den Niederlanden zuvor kommen. Mitte, Ende des 15. Jahrhunderts war die Welt offiziell zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt. Mit Portugals riesigem “Reich”, Brasilien gehörte auch dazu, konnten sie erst nicht so recht etwas anfangen. Mit dem Goldhandel mit den Königreichen des heutigen Ghana änderte sich das. Dieser Goldhandel basierte auf einem einvernehmlichen Handel zwischen kulturell hoch stehenden Zivilisationen, was für Afrikas Seite jedoch stets herunter gespielt wurde. Es gab nicht nur Geschäfte mit diesen Königreichen, es gab einen regen Besuchsverkehr zwischen Europa und Westafrika. Es sind erstaunliche Materialien und Quellen, die belegen, dass die Gier nach Gold und Reichtum zu einer quasi Anerkennung von afrikanischen Herrschern führte, dass diplomatische Verbindungen dorthin schon in der Neuzeit Standard waren. Dies widerspricht natürlich dem tradierten Bild des “unzivilisierten Afrikaners”, der für die Versklavung und Kolonisierung herhalten musste.
Der Zucker, das begehrte Gut änderte dann vieles. Und hob dann mit der Ausweitung der Zuckerproduktion zu riesigen Gewinnen an. Howard W. French belegt dies nicht nur mit vielen historischen Quellen. Zu ganz vielen Orten nimmt er die Leser:innen mit, ist auf der Suche nach Spuren dieser Zeit. Da ist er als ehemaliger Times Korrespondent ganz in seinem Element. War er doch selber an vielen diesen Orten auch zuvor schon beruflich unterwegs, hat eine Zeitlang auch in Westafrika gelebt. Seine Abstammung lässt sich von der Seite seiner Mutter bis in die Zeit der Sklavenhaltung im Süden der USA zurück verfolgen, wie French im Buch erzählt. Es steckt viel persönliche Motivation in diesem Buch, das macht das Buch so besonders. Es macht das Buch auch besonders anschaulich ohne trivial zu werden. Denn das ist es nie.
Erstaunlich wenig erinnert an diese fürchterliche Zeit, vom 15. bis 20. Jahrhundert, die für viele Menschen aus afrikanischen Ländern ein schreckliches Los waren. Eine Zeit, in der, wie auf Sao Tome vor der westafrikanischen Küste, das role model für die Plantagenwirtschaft der Karibikstaaten, Brasilien und nicht zuletzt auch für die USA geschaffen wurde. Hier entstand erstmals unter portugiesischer Führung das schreckliche Ausbeutungssytem der Sklavenhalternationen. Hier wurde Effektivität und maximale Ausbeutung der “Ressource” Mensch zuerst verwirklicht. Die anschauliche Argumentationsführung lässt beim lesen des Öfteren “klick” machen. Waren es doch gerade, abgesehen von Brasilien, die karibischen Inseln, die die ausbeuterische Plantagenwirtschaft zum maximalen Profit für die Eigner, den europäischen Mächten, verhalfen. Auf diesen Inseln, von Barbados über Jamaica bis Saint Domingue, dem heutigen Haiti, wurden Millionen von versklavten Afrikanerinnen und Afrikanern für die Zuckerproduktion in immer perfideren Arbeitsabläufen maximal ausgebeutet. Ein großer Teil der Staatshaushalte der europäischen Nationen profitierten davon. Dennoch wurde der Anteil der Zuckerproduktion am Aufstieg dieser “Handelsnationen” stets geleugnet. Wer sich immer gewundert hat, warum die vielen Karibikinseln auf so viele europäische Staaten aufgeteilt wurden, bekommt die Antwort. Einzig und allein die guten Bedingungen für die Plantagenproduktion durch Sklaven.
Leugnen mit System
Wie wichtig die Vorherrschaft in der Zuckerproduktion, als Folge dann auch der direkte Handel mit den afrikanischen Sklaven war, zeigt sich auch, wie unerbittlich sich die Nationen Kämpfe um Einflusssphären in Afrika und der Karibik mit kriegerischen Mitteln geliefert haben. Man ist verblüfft: da liefern sich Niederländer und Portugiesen Seeschlachten vor Westafrikas Küste, verbünden sich Portugiesen mit kongolesischen Königshäusern um gegen niederländische Aggressoren zu kämpfen, werden tausende napoleonische Soldaten in Haiti aufgerieben und wusste davon aus Schul- und Geschichtsbüchern wenig bis nichts. Gerade letzterer Fakt, dass die Franzosen gegen den (erfolgreichen) Aufstand in ihrer wichtigsten Kolonie, Haiti, mehr Verluste hatten als in Waterloo, wird selten im Zusammenhang mit französischer Geschichte erwähnt. Es ist unangenehm, dass es der Anführer des Haitianischen Sklavenaufstandes, Touissant Louverture war, der die Europäer an die zuvor verkündete Erklärung der Menschenrechte, erinnerte. Doch weder für Franzosen noch für Engländer oder die Siedler in den USA waren Afrikaner, gar Sklaven wirklich zivilisierte Menschen. Menschenrechte für Afrikaner:innen? Wir kennen die Antwort.
Dieser alte Rassismus musste als Grundlage für das mörderische Ausbeutungssystem herhalten, mit dem die riesigen Profite erwirtschaftet wurden. Ein System, das die Tuchproduktion in den Niederlanden und England ankurbelte, das dort dann auch die Manufakturen und Fabriken, die Maschinen und Produktionsweisen rentabel machten. Nicht Erfindergeist und Technologie, Calvinismus und Unternehmergeist waren die tragenden Säulen der industriellen Revolution. Howard W. French zeigt, dass ein großer Teil des Aufschwungs, den die westliche Welt ab dem 15. Jahrhunderts machte, die später England und die USA zu Großmächten werden ließ, aus den Beziehungen der Europäer zu Subsahara-Afrika, der rücksichtslosen Ausbeutung von Sklaven aus Afrika basierte. Selbst nach der offiziellen Abschaffung des Sklavenhandels 1808 durch die Großmacht Großbritannien (die bis dahin einen Großteil des Sklavenhandels dominierte) dauert es fast noch Hundert Jahre, bis sich die Sklavenhaltung in westlichen Ländern änderte. Zu groß waren die Profite, zu trickreich die Ausnahmen, die gefunden wurden um das System zu verlängern. French dokumentiert auch die Verstrickung der afrikanischen Herrscherhäuser in diesen Handel, der einige Dynastien sehr reich machte.
French nennt es einen “jahrhundertealten Prozess der Schmälerung, Trivialisierung und Löschung von Afrikanern und Menschen afrikanischer Abstammung aus der Erzählung der modern Welt”. Denn die Leugnung des Faktors Sklavenhandel in Bezug auf die Profitabilität der Handelsbeziehungen wurden schon im 16. Jahrhundert ignoriert. Sprachlos wird man an auch an die riesigen inneramerikanischen Menschentransporte erinnert, die auch nach der Abschaffung des Sklavenhandels in den USA ausschließlich zur industriellen Ausweitung der Baumwollproduktion im neu erworbenen Louisiana dienten. Gerade auch das große Kapitel über die USA enthält viele neue historische Erkenntnisse. Es ist eine exzellente Arbeit, die die vorhandenen Quellen und Forschungsergebnisse auswertet. Selbst wenn manches schon länger bekannt ist, die Schlüsse und Querverbindungen sind selten so überzeugend gezogen worden wie in diesem Buch. Fast ist man beschämt, es nicht besser gewusst zu haben. Schiebt diesen Fakt, auf die Auslassung in der Geschichtsschreibung. Ein Manko, dass nun der modernen Geschichtsschreibung anhaftet, die konsequent den Anteil Afrikas in der Geschichtsschreibung klein geschrieben hat.
Es ist diese “uncomfortable truth”, die Unterschlagung von Fakten (auch das gut belegt), die French in seinem Buch deutlich macht. Es ist immer seriös und fundiert. Dabei ist es so spannend geschrieben, dass man es nicht weg legen möchte. Das liegt nicht nur am auch persönlich gefärbten Stil dieser Geschichtsschreibung. Es liegt auch daran, dass man stets neugierig bleibt auf diese unangenehmen Seiten der europäischen Verwicklung und Geschichtsverdrehung. Ein seltener Fall für ein Geschichtsbuch. Eine Globalgeschichte endlich unter Einbeziehung des afrikanischen Kontinents. Es gibt eine Zeit vor dem Buch von Howard W. French und eine Zeit danach. Sie ist nun angebrochen.
Hans Hofele
Howard W. French : Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Globalgeschichte.
512 Seiten, Klett-Cotta Verlag
https://www.klett-cotta.de/home/
https://www.howardwfrench.com/
ENGLISH VERSION
This book is a bang for the buck. Africa and the Making of the Modern World by Howard W. French. It is timely and has the makings of having to redefine the previous historiography of Africa and the West. Howard W. French, professor of journalism at Columbia University in New York , convinces with a lucid analysis of the involvement of European powers with the gold and slave trade from the beginning of the modern era through the 20th century.
Africa and the Making of the Modern World, now published in German by Klett-Cotta, is to be seen as an important contribution in the reinterpretation of historical facts and contexts. The striking thing is not only the many facts that French presents. It becomes clear relatively early in the reading that it is above all the concealment or negation of facts and contexts that have made possible a revelation of one of the darkest chapters of Western history. A central thesis of the book is that Africa with its resources of gold and forced laborers, over twelve million slaves and the market for textiles, made an unheard-of rise of the European seafaring nations such as Portugal, Spain, the Netherlands, France and England, later also the slave-holding nation USA, possible. After all, with no other product than sugar could such exorbitant profits be made. This, too, was only possible after little Portugal, a hitherto underestimated quantity in the context of economic history, acted as a pioneer for the triangular trade. They were the first Europeans on Africa’s west coast, establishing a firm base at Elmina to control the coast and establish the gold trade.
Portugal, the inconspicuous great power
Weren’t the Portuguese on their way to India to trade in spices? Wasn’t Africa always just a stopover there? Yes and above all No. Portugal quickly realized that it was worthwhile to trade in Africa itself. That trade with Africa meant more and eventually developed as the most important source of income for the Portuguese kings. However, the news spread throughout Europe and covetousness grew. Portugal now had to get ahead of other nations like the Netherlands. By the mid, late 15th century, the world was officially divided between Spain and Portugal. With Portugal’s huge “empire”, Brazil was also part of it, they couldn’t really do anything with it at first. This changed with the gold trade with the kingdoms of today’s Ghana. This gold trade was based on a consensual trade between culturally high standing civilizations, which was always played down for Africa’s side. Not only was there business with these kingdoms, there was a lot of visiting traffic between Europe and West Africa. There are amazing materials and sources that prove that the greed for gold and wealth led to a quasi-recognition of African rulers, that diplomatic connections there were already standard in modern times. This, of course, contradicts the traditional image of the “uncivilized African” who had to serve for enslavement and colonization.
Sugar, the coveted commodity then changed many things. And then lifted to huge profits with the expansion of sugar production. Howard W. French not only proves this with many historical sources. He takes the reader to many places, searching for traces of this time. As a former Times correspondent, he is in his element. After all, he has been to many of these places himself, and lived in West Africa for a while. His ancestry can be traced back to the time of slavery in the southern United States on his mother’s side, as French recounts in the book. There is a lot of personal motivation in this book, which is what makes it special. It also makes the book particularly descriptive without becoming trivial. Because it never is.
Surprisingly little reminds of this terrible time, from the 15th to the 20th century, which were a terrible lot for many people from African countries. A time in which, as on Sao Tome off the West African coast, the role model was created for the plantation economy of the Caribbean states, Brazil and not least for the USA. It was here, for the first time under Portuguese leadership, that the terrible exploitation system of the slaveholding nations was created. Here, effectiveness and maximum exploitation of the “resource” man was first realized. The descriptive argumentation lets make “click” while reading the book. After all, apart from Brazil, it was the Caribbean islands that helped the exploitative plantation economy to achieve maximum profit for the owners, the European powers. On these islands, from Barbados to Jamaica to Saint Domingue, today’s Haiti, millions of enslaved Africans were exploited to the maximum for sugar production in ever more perfidious work processes. A large part of the national budgets of European nations profited from this. Nevertheless, the share of sugar production in the rise of these “trading nations” has always been denied. Those who have always wondered why the many Caribbean islands were divided among so many European nations get the answer. Only the good conditions for plantation production by slaves.
Denial with system
The importance of the domination in sugar production, and as a consequence the direct trade with African slaves, is also shown by the relentless battles for spheres of influence in Africa and the Caribbean. One is stunned: there are Dutch and Portuguese naval battles off West Africa’s coast, Portuguese allies with Congolese royalty to fight Dutch aggressors, thousands of Napoleonic soldiers are routed in Haiti and knew little or nothing about it from school and history books. The latter fact in particular, that the French suffered more casualties against the (successful) rebellion in their most important colony, Haiti, than they did at Waterloo, is rarely mentioned in the context of French history. It is inconvenient that it was the leader of the Haitian slave revolt, Touissant Louverture, who reminded Europeans of the previously proclaimed Declaration of the Rights of Man. But neither for the French, nor for the English, nor for the settlers in the United States were Africans, let alone slaves, truly civilized people.
This old racism had to serve as the basis for the murderous system of exploitation that generated the huge profits. A system that boosted cloth production in the Netherlands and England, which then also made the manufactories and factories there, the machines and production methods profitable.
Not inventiveness and technology, Calvinism and entrepreneurship were the mainstays of the Industrial Revolution. Howard W. French shows that much of the boom that the Western world made from the 15th century onward, which later made England and the United States great powers, was based on Europeans’ relations with sub-Saharan Africa, the ruthless exploitation of slaves from Africa. Even after the official abolition of the slave trade in 1808 by the great power of Great Britain (which dominated much of the slave trade until then), it took almost a hundred years before slavery in Western countries changed. The profits were too great, the exceptions found to prolong the system too tricky. French also documents the involvement of African ruling houses in this trade, which made some dynasties very rich.
French calls it a “centuries-old process of belittling, trivializing, and erasing Africans and people of African descent from the narrative of the modern world.” For the denial of the factor of slave trade in relation to the profitability of trade relations were already ignored in the 16th century. Speechless, one is also reminded of the huge intra-American human transports, which even after the abolition of the slave trade in the U.S. served exclusively for the industrial expansion of cotton production in the newly acquired Louisiana. The large chapter on the U.S. in particular also contains many new historical insights. It is an excellent work that evaluates existing sources and research. Even if some things have been known for some time, the conclusions and cross-connections have rarely been drawn as convincingly as in this book. One is almost ashamed not to have known better. Pushes this fact, on the omission in the historiography. A shortcoming that is now inherent in modern historiography, which has consistently written Africa’s share in historiography small.
It is this “uncomfortable truth”, the misappropriation of facts (also well documented) that French makes clear in his book. It is always serious and well-founded. At the same time, it is written in such an exciting way that one does not want to put it down. This is not only due to the personally colored style of this historiography. It is also due to the fact that one always remains curious about these unpleasant sides of European involvement and twisting of history. A rare case for a history book. Global history finally including the African continent. There is a time before Howard W. French’s book and a time after. Now is also the time for this knowledge to spread. It has now dawned.
Hans Hofele
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